Ära von Bürgermeister Masch geht zu Ende

Volksstimme vom 11.07.2015 – Von Anke Schleusner-Reinfeldt

Mit Politik und Verwaltung hatte Jürgen Masch zu DDR-Zeiten kaum was am Hut. Er fuhr Mähdrescher und war Brigadier bei der LPG in Scharlibbe. Doch dann wurde er quasi über Nacht zum Bürgermeister gewählt und ist es 25 lange Jahre geblieben – bis morgen. Schon seit ein paar Tagen räumt Jürgen Masch im Gemeindebüro Schreibtisch und Schränke leer. „Da ist einiges zusammengekommen.“ Immerhin ein Vierteljahrhundert Bürgermeisterzeit vollendet er am morgigen Sonntag.
Beim Packen der Umzugskisten lässt der 73-Jährige die Gedanken schweifen zurück in die Wendezeit. Er war Brigadier bei der LPG in Scharlibbe. Hierhin war er nach der Lehre zum Traktoristen bei der MAS (später KfL) in Klietz abgeordnet worden. In den Sommermonaten tauschte er den Traktor gegen den Mähdrescher, bis er nach zehn Jahren die Nachfolge des verstorbenen Brigadiers antrat. Nebenbei wurde ein Haus in Scharlibbe gebaut, 1966 heiratete er und 1969 und 1971 kamen die Töchter Kirsten und Steffi auf die Welt.

Dann kam die Wende in der DDR. In Klietz gründet sich die Wählergemeinschaft, zu der auch der Scharlibber gehört. Von 21 Plätzen im Rat erhält sie bei der ersten freien Wahl am 1. Juli 1990 gleich sechs. Und weil das die meisten sind, muss die Wählergemeinschaft aus ihren Reihen den Bürgermeister bestimmen. „Als mein Name ins Spiel kam, habe ich mich gesträubt, denn ich hatte doch gar keine Ahnung von Verwaltung. Aber es blieb nichts anderes übrig, als das Amt zu übernehmen.“ Elisabeth Dressler, die im Gemeindebüro tätig und auch Stellvertreterin des langjährigen Bürgermeisters Arno Schulze war, unterstützte den Unerfahrenen nach Kräften, außerdem bekam Klietz einen Verwaltungsfachmann zur Seite gestellt. Auch die Beziehungen zu Haltern in Niedersachsen waren sehr hilfreich.

Aus dem Ehrenamt wird ein Hauptamt, später wechseln die Bürgermeister in die Verwaltung der Verbandsgemeinde. Jürgen Masch erlebt verschiedene Gebilde bis hin zur Gründung der Verbandsgemeinde Elbe-Havel-Land. Mit der Entscheidung, dass deren Sitz Schönhausen ist, hadert Jürgen Masch noch heute. „Wir liegen zentral und hätten das Ärztehaus zur Verfügung gehabt. Aber die Entscheidung fiel ja dann auf Schönhausen mit Außenstelle in Sandau. Das ist auf Dauer einfach zu teuer! Hier wird man sich Gedanken machen müssen.“ Auch er selbst hat da ein Wörtchen mitzureden. Denn auch wenn er nicht mehr Bürgermeister ist, so behält er doch seinen Sitz im 20-köpfigen Rat der Verbandsgemeinde. Morgen also gibt Jürgen Masch, der seit ein paar Jahren in Klietz lebt, den Schlüssel des Gemeindebüros an Hermann Paschke weiter, der ab Montag neuer Bürgermeister der Seegemeinde ist. „Ich wünsche ihm alles Gute und stets das richtige Fingerspitzengefühl bei allen Entscheidungen zum Wohl der Gemeinde.“ Heutzutage sei es längst nicht mehr so leicht, eine Gemeinde voranzubringen, werden die Zuweisungen doch immer geringer.


Es waren noch goldene Zeiten in den 90-ern, als die Fördermittel nur so flossen. Und Jürgen Masch und die Gemeinde haben zugegriffen. So sind es auch eine ganze Reihe von Spuren, die Jürgen Masch hinterlässt. Da sind der sanierte Kindergarten, die gut ausgebaute Schule, das Gerätehaus der Feuerwehr, die vielen auch mit Bundeswehr-Mitteln ausgebauten Straßen, die Scharlibber Ortsdurchfahrt und das Abwassernetz nach Klietz, der Radweg zwischen beiden Orten, die rekonstruierte Mühle, der großzügige Jugendklub und auch die beiden Treffs in Scharlibber und Neuermark-Lübars, der Naturlehrpfad um den See und nicht zuletzt das Schullandheim, das Jürgen Masch immer besonders am Herzen lag. Nichts wünscht er sich mehr, als dass das Haus immer gut von Schulklassen besucht wird, damit die Kinder hier Unterricht mitten in der Natur erleben können. Die Stimmen im Rat, das Haus zu privatisieren, will er nicht hören, „dann ist es bald dicht!“
„Ich hatte gehofft, dass wenigstens die Badestelle zu dieser Saison hergerichtet ist.“Es gibt auch Dinge, die nicht wie gewünscht gelaufen sind. Dazu gehört die Turnhalle, die nur zur Hälfte saniert ist. Dass der Radweg nach Neuermark-Lübars noch nicht fertig ist, ärgert ihn auch. „Und der Wiederaufbau nach der Flut geht mir zu langsam voran. Ich hatte gehofft, dass wenigstens die Badestelle in Klietz in dieser Saison hergerichtet ist, aber es dauert und dauert.“ Dass die Straßen durch die Seesiedlung zu 100 Prozent mit Wiederaufbaumitteln erneuert werden, sei ein Glücksfall, „aus eigener Kraft hätten wir das wohl nie geschafft“. Denn die Kassen der Gemeinde sind so gut wie leer, „ich hoffe, dass wir dieses Jahr die Schulküche modernisieren können. Aber bis wir den Haushalt auf den Tisch bekommen, wird es wohl Herbst…“ Und die Mühle soll einen neuen Holzschutzanstrich bekommen, das Geld dafür liegt bereit. Dass er das Heizhaus-Projekt nicht mehr auf den Weg bringen konnte, bedauert Jürgen Masch. Denn die Umstellung auf Holzhackschnitzel hält er trotz anderer Meinungen im Rat für die optimalste Variante, um künftig Betriebskosten in den gemeindeeigenen Einrichtungen und Wohnungen zu sparen.

In den letzten Tagen als Bürgermeister kürzer zu treten, kam für Jürgen Masch nicht infrage. Drei Notartermine hatte er diese Woche noch. Außerdem wollte er von der Straßenbaubehörde wissen, warum es beim Radwegbau nach Neuermark nicht voran geht. Nach wie vor führte der erste Weg morgens kurz nach 7 Uhr auf den Bauhof zur Absprache, was die Gemeindearbeiter erledigen müssen. Auch wenn er tatsächlich kurz vor der Bürgermeisterwahl überlegt hatte, noch einmal zu kandidieren, so ist er inzwischen froh, die Verantwortung abzugeben. Denn der jahrelange Zank im Gemeinderat zehrte an den Nerven. „Unterstellungen und Unsachlichkeiten haben hier nichts zu suchen. Aber es werden immer wieder von bestimmten Personen Dinge an den Haaren herbeigezogen, die unglaublich sind.“ Besonders enttäuscht ist er von der Reaktion der Einwohner von Neuermark-Lübars, wo es beim geplanten Verkauf von Immobilien heftigen Widerstand mit Unterschriftenaktion und Protest vor dem Gemeindebüro gab. „Es ist eine Unterstellung, mit Geld aus Verkäufen in dem Ortsteil die Modernisierung des Heizhauses in Klietz zu finanzieren. Der Erlös wäre erst einmal ganz normal in den Haushalt eingeflossen. Als Gemeinde in Konsolidierung sind wir angehalten, uns von Eigentum zu trennen. Und was spricht gegen den Verkauf eines leerstehenden Mietshauses an ein junges Paar aus dem Ort?“


Generell sollten die Bürger und die Ratsmitglieder untereinander ein bisschen mehr Vertrauen haben, „wir sind doch alle angetreten, um Gutes für die Gemeinde zu bewirken“. Außerdem ärgert den Bürgermeister derzeit die vom Land angeordnete Einführung des doppischen Haushaltes, „was das gekostet hat und vor allem wie viel Zeit dafür in der Verwaltung aufgebracht werden musste – als wenn wir keine anderen Sorgen hätten! Das Land ordnete an, aber führt selbst keinen doppischen Haushalt. Uns hat das mindestens eine Million Euro gekostet. Was haben wir nur für Politiker in der Landesregierung zu sitzen, die so etwas beschließen. In anderen Bundesländern gibt es solchen Unsinn nicht.“ Wichtig waren Jürgen Masch in 25 Jahren die sehr guten Beziehungen zur Bundeswehr. „Da musste man keine langen Schreiben aufsetzen, sondern brauchte nur zum Telefon zu greifen und die Angelegenheit war geklärt.“ Ob zivil-militärischer Straßenbau, Fischerstechen, Neujahrsempfänge, Umwelttage – die Gemeinde kann auf die Unterstützung aus der Kaserne bauen. Das war in ganz besonderem Maß während der Flut der Fall. „Auch kleine Schulen müssen bleiben, sonst können wir bald das Licht ausmachen.“

Wenn Jürgen Masch morgen zum Abschiedsempfang einlädt, freut er sich, dass auch eine Abordnung aus dem polnischen Cherwinsk dabei ist. Einst hatte Klietz nach der Oderflut geholfen, seitdem hält der Kontakt. Die Cherwinsker sind auch beim traditionellen Sommercamp mit dem ebenfalls in Polen befindlichen Bialy Bor – dieses Jahr ist Klietz wieder Gastgeber in Havelberg, weil das Schullandheim belegt ist. „Solche kleinen Dinge sind einfach wichtig, dass sie aufrecht erhalten werden. Nur so ist das Leben hier auf dem Land lebenswert. Das Geld darf nicht immer an erster Stelle stehen.“ Aber es werde auch gebraucht. „Das Land muss die Finanzpolitik überdenken. Die oben stoßen sich auf Kosten der Gemeinden als letztes Glied in der Kette gesund und wir wissen nicht mehr, wie wir klarkommen sollen. Ein Opfer sind die Grundschulen. Die müssen auch mit wenigen Kindern erhalten bleiben. Sonst können wir bald das Licht ausmachen, weil alle jungen Familien wegziehen.“

Ab Montag liegt es an Hermann Paschke, zusammen mit dem Gemeinderat die richtigen Entscheidungen für Klietz, Scharlibbe und Neuermark-Lübars zu treffen. Im Verbandsrat bleibt Jürgen Masch ein Mitglied, das sich für die positive Entwicklung aller sechs Gemeinden des Elbe-Havel-Landes einsetzt.